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Hammerstein oder Der Eigensinn

von<br> Hans Magnus Enzensberger

Dreimal hat der Lyriker und Essayist Hans Magnus Enzensberger sich in seinem langen Leben (er wurde 1929 geboren) mit biographischen Stoffen so intensiv eingelassen, dass daraus eigene Bücher wurden: Zu Beginn der 1970er Jahre schrieb er „Der kurze Sommer der Anarchie“, das als „Roman“ deklarierte Lebensbild eines spanischen Anarchisten: Buenaventura Durruti (1896-1936), der nach einem bewegten Leben in mehreren Ländern während der Kämpfe zwischen den Kommunistischen Verbänden, die die spanische Republik verteidigten und den Insurgenten unter General Franco in Madrid zu Tode gekommen ist; 1988 ein „Requiem für eine romantische Frau“ über das schwierige Leben von Clemens Brentanos? Ehefrau Auguste Bußmann, daraus wurde dann auch ein Theaterstück. Im Jahr 2008 ist nun „Hammerstein oder Der Eigensinn“ erschienen, die Geschichte des deutschen Generals Kurt von Hammerstein (1878-1943) und seiner Familie, ein Buch, das ausdrücklich prätendiert, „kein Roman“ zu sein.

Drei Lebensläufe von Außenseitern, die gegen die Konventionen ihrer Zeit verstießen. Im Fall Durruti schien es Enzensberger wohl geboten, gegen die Revolte der 1968-er, die er, fast zwanzig Jahre älter als die protestierenden Studenten, mit ebensoviel Zustimmung wie Skepsis begleitete, das Bild eines Berufsrevolutionärs zu setzen, der Zeit seines Lebens nichts anderes wollte, als eben die Revolution, freilich nicht die, die damals von der Sowjetunion dominiert wurde. Durruti wird in diesem Buch als Heldenfigur destruiert und gerade dadurch in ihrer Eigenart bestätigt. Das Buch besteht aus durch kurze Zwischentexte verbundenen, einander widersprechenden zeitgenössischen Zeugnissen (Zeitungsartikeln, Berichten der Zeitgenossen und offiziellen Akten) und geschichtlichen „Glossen?“ des Verfassers, in denen er die gesammelten Texte kritisch kommentiert und damit in ihrer Authentizität untergräbt: Das ist, wenn überhaupt etwas, das „Romanhafte“ dieses streng komponierten Buchs, in dem so vieles offen bleibt – sogar über Durrutis Tod gibt es, allen Augenzeugen zum Trotz, mehrere Versionen, die von einem tödlichen Schuss aus franquistischen Waffen bis zur Ermordung durch die eigenen Leute reichen. Durruti ist heute weithin vergessen, doch das Denkmal, das Enzensberger dieser erstaunlichen Figur setzte, wirkt trotz der vielen fehlenden Steine immer noch solide.

Schmucklose, lakonische Sprache

Auguste Bußmanns unglückliches Leben konstruiert er aus dem Widerspruch ihres absoluten Liebesverlangens und Brentanos? zwiespältigem Verhalten gegenüber einem so heftigen Ansinnen. In dem nach dem Prosatext verfassten Stück führt das zur Spaltung Brentanos? in zwei Bühnenfiguren. Auch hier verwendet er dokumentarisches? Material, vor allem Briefe?.

Die distanzierende Methode widersprüchlicher Aussagen und Erinnerungen hat Enzensberger in „Hammerstein“ beibehalten. In meist kurzen, in einer schmucklosen, lakonischen Sprache geschriebenen Kapiteln wird das Leben dieses preußischen Generals und seiner Kinder chronologisch? abgehandelt. In „Totengesprächen“ – in denen sich der Autor als einen imaginiert?, der es vermag, mit den längst Verstorbenen zu sprechen, ihnen Fragen zu stellen, die er natürlich selbst beantwortet – werden Dokumente zitiert, die die Befragten aus der Reserve locken sollen. Hammerstein, seine Töchter und Söhne (vielmehr ihre erfundenen Gespenster) antworten häufig entnervt und immer zurückhaltend. Dies trickreiche literarische Verfahren dient dazu, die Figuren genauer zu charakterisieren und Mutmaßungen des Autors zu bestätigen oder abzuweisen. Über den General und sein Leben schreibt er als eine Art Fazit seiner Untersuchungen: „Ein Bruch mit dem Herkunftsmilieu war das alles nicht, eher ein Zeichen für seinen Eigensinn. Wichtiger ist etwas anderes: In seinem Clan hat es keinen einzigen Nationalsozialisten gegeben. Nicht allzu viele Familien können das von sich sagen.“

Mit der Neugier eines Hobbyhistorikers erzählt

Die Erforschung des Nationalsozialismus hat viele Aspekte dieses Zivilisationsbruchs ausgeleuchtet – die Figur Hitlers (von Fest? bis Kershaw?), die Massenvernichtung der Juden und anderer Minderheiten (von Hilberg? bis Friedländer), sie hat die Untaten der SS und der Wehrmacht untersucht und das Leben so vieler einverständiger „Volksgenossen“ (etwa bei Götz Aly?). Kurt von Hammerstein kommt als Randfigur in vielen dieser Büchern ebenso vor, wie seine Kinder, vor allem die drei Töchter Marie Luise, Maria Theresia und Helga, die alle auf kürzere oder längere Zeit als Kommunisten auch mit den „Feinden“, der Sowjetunion vor allem, zusammengearbeitet haben: mit der stillschweigenden Billigung des Vaters, der Hitler von Anbeginn an (anders als seine adligen Offizierskollegen) verachtet und gehasst hat und der nach seiner Entlassung aus den Diensten der Wehrmacht 1934 mit vielen Hitlergegnern Verbindung hielt.

Er hatte während der Weimarer Zeit mit den Russen bei der geheimem Aufrüstung des Heeres kooperiert und diese Zusammenarbeit, bei aller Ablehnung der bolschewistischen Ideologie, im Interesse des Reichs für sinnvoll gehalten: Er kannte seine Gesprächspartner aus Verhandlungen und gemeinsamen Jagdausflügen gut und wusste von den Soldaten der Roten Armee: „Sie brauchen sich nur zurückzuziehen, dann ist gegen sie kein Krieg zu gewinnen.“ Er war, trotz Kadettenschule und des Aufstiegs in der Reichswehr, allenthalben „eigensinnig“ und galt als „faul“, eine Eigenschaft, die er als produktiven Müßiggang verteidigte. Die, die ihn aus seinem Berufsleben kannten, beschreiben ihn als den fähigsten Strategen, den Deutschland damals hatte. Doch zeigen konnte er das nicht, seine Reaktivierung 1939 dauerte nur Wochen: Hitler mochte ihn nicht. Gleichwohl ließen er und Himmlers SS ihn bis zu seinem Tode in Ruhe.

Seinen Kindern, von denen die beiden Söhne Kunrat und Ludwig in die Geschehnisse des 20. Juli aktiv verwickelt waren, gelang es, das "Dritte Reich" zu überstehen, trotz Konzentrationslager (in die einige von ihnen nach 1943 als „Sippenhäftlinge“ gerieten, darunter auch Hammersteins Frau Maria) und vielen Fluchten.

Enzensberger erzählt diese kaum glaubliche, aber eben belegbare Geschichte feuilletonistisch? locker – mit der Neugier eines Hobbyhistorikers, der Empathie eines Autors, der auf der Seite seiner Figuren steht und zugleich der skeptischen Distanz des Nachgeborenen, der wissen will, wie viel Bewunderung diese Familie verdient: sehr viel.

Eine Form nachträglicher Besserwisserei

Es hat dies einmal gegeben: einen eng zusammenhaltenden adligen Clan, der sich nicht vereinnahmen ließ und unter den wachen Augen des Alten, der ihn gewähren ließ, Widerstand leistete. Hammerstein war davon überzeugt, dass seine Kinder schon das Richtige tun würden. Er ließ es bei Bemerkungen bewenden. Man wusste ohnedies, wo er stand. „Gottfried Paasche (Maria Theresias Sohn) weiß zu berichten, dass Hammerstein sich Geheimdienstberichte besorgt hat, um herauszufinden, wer festgenommen werden sollte. Seine Kinder setzte er als Boten ein, um die Gefährdeten zu warnen. ‚Beim Frühstück war es seine Gewohnheit, Namen zu nennen, und die Kinder wussten, was sie zu tun hatten’.“

Auch „Hammerstein oder Der Eigensinn“ setzt ein Denkmal. War es für den Sympathisanten der 1968-er ein Anarchist (also einer, der in keine der organisierten Parteien passte), so ist es nun ein preußischer General, der weitsichtiger als fast alle seine militärischen und adligen Zunftgenossen, sich keinen Augenblick von Hitler hat blenden lassen. „Als Gegner der Nazis wird man nicht geboren, man musste erst dazu werden“, schreibt Enzensberger und im Blick auf die, die später in den Widerstand gingen: „Wer Leuten, die mit ihrem Leben bezahlt haben, aus ihren politischen Irrtümern einen Vorwurf macht, leidet an einer Form nachträglicher Besserwisserei, die von moral insanity nicht weit entfernt ist.“ Ein Demokrat unserer Zeit verbeugt sich vor denen, die für eine demokratische Tradition als Vorbilder wichtig sind. Diese Hammersteins wussten, dass Traditionen, recht verstanden, auch die Verpflichtung enthalten können, mit ihnen zu brechen, wenn sie gefährlich geworden sind. (Nebenbei kann man das auch als „Mitteilung an den Adel“ verstehen – so hieß vor vielen Jahren einmal ein Roman von Elisabeth Plessen?, der die eigene adlige Herkunft und den übermächtigen Vater thematisierte. Angesichts der neuen Beachtung, der sich der Adel heute in Vorstandsetagen und Traueranzeigen erfreut, mag auch das dem bürgerlichen Republikaner wichtig gewesen sein.)

Enzensbergers Roman-Essay – oder der wie immer man diese Gattung nennen mag – nimmt sich, wie schon in den früheren biographischen Versuchen, der Verlierer an, die wenigstens die moralische Überlegenheit ihrer „Sache“ zum Beispiel zu machen verstanden. Dies ist des Autors Eigensinn.

Literaturangaben:

  • ENZENSBERGER, HANS MAGNUS: Hammerstein oder Der Eigensinn. Eine deutsche Geschichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 375 S., 22,90 €, ISBN: 978-3518419601

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